Flankiert von einem mäßigen Interesse der Wähler, geht der Wahlkampf zur Wahl des neuen, des nunmehr 19. Bundestages zu Ende. Am Sonntag wird gewählt, dann wissen wir mehr.

Langweiliger Wahlkampf in stürmischen Zeiten

Die Langeweile, welche diesen Wahlkampf umrahmt, steht im völligen Gegensatz zu den stürmischen Entwicklungen weltweit, die ein Kennzeichen unseres Zeitalters sind. Wir alle sind heute Chronisten von dramatischen Verschiebungen des globalen Machtgefüges, von der Entstehung neuer Brandherde, von dem Aufstieg und Fall von Mächten. Diese Faktoren spielen in dem Spektakel, welches uns dieser Tage zwischen Flensburg und Oberammergau, zwischen Aachen und Görlitz, geboten wurde und wird, kaum eine Rolle.

Aber auch innenpolitische Themen von Relevanz wurden nur oberflächlich, wenn überhaupt, diskutiert. Der Herausforderer von der SPD wurde von den Wählern nicht als Regierungsalternative akzeptiert. Der Schulz-Zug, welcher anfangs von den Medien mit angeschoben wurde, verlor sehr früh an Geschwindigkeit und blieb dann auf halber Strecke stecken. Die personelle Auszehrung, von der fast alle Parteien betroffen sind, trifft die Sozialdemokraten mit voller Wucht.

Kampf um den Machterhalt erstickt jede Vision

Angela Merkel steht im 12. Jahr ihrer Herrschaft vor einer neuen Amtszeit.

Was immer die Kanzlerin antreibt, welche  politischen Vorstellungen sie auch verfolgen mag, dem aufmerksamen Beobachter erscheint es, als würde der Kampf um den Machterhalt jede Vision ersticken und der Sachzwang regieren. Deshalb schauen die Bürger der Republik einer neuen Amtszeit von „Mutti“ eher mit Ernüchterung, als mit Begeisterung entgegen.

Spannend ist höchstens die Frage, welche Partei drittstärkste Kraft im neuen Parlament sein wird und wie sich dieses auf die Stärke und die Qualität der Opposition auswirkt.

Repräsentative Demokratie – Eine Tochter des bürgerlichen 19. Jahrhunderts

Ein fader Wahlkampf geht zu Ende, ich gehe trotzdem wählen. Denn solange kein neues politisches System existiert, welches das aktuelle System vorteilhaft ergänzen oder gar ersetzen könnte, werde ich meine Stimmzettel in der Wahlurne versenken. Trotzdem sei in diesem Zusammenhang die Frage erlaubt, ob die repräsentative Demokratie bisheriger Prägung, eine Tochter des bürgerlichen 19. Jahrhunderts, vielleicht nicht schon ihrem Ende entgegen taumelt.

Im Westen gerade auch dadurch, dass die Stärke der virtuellen Medien, aber auch der konventionellen Medien, zu einer betrüblichen Nivellierung des Meinungsaustausches und der Informationsvermittlung geführt hat. Unter dem Druck von kollektiver Stimmungsmache, auch als Shitstorm bekannt, welche den Politikern häufig mehr Angst einjagt als die wechselnden Stimmungen ihrer Wähler, könnte der klassische Parlamentarismus eines Tages ersticken oder in Formalismus erstarren, falls dieser Tag nicht schon eingetroffen ist.

Die Kritik an unserem politischen System ist nicht neu. Schon 1968 schrieb Sebastian Haffner, wahrlich kein Autor der extremen Linken oder Rechten, sondern ein Vertreter des bürgerlichen Liberalismus:

"Nominell leben wir in einer Demokratie. Das heißt: Das Volk regiert sich selbst. Tatsächlich hat, wie jeder weiß, das Volk nicht den geringsten Einfluss auf die Regierung, weder in der großen Politik noch auch nur in solchen administrativen Alltagsfragen wie Mehrwertsteuer und Fahrpreiserhöhungen. Die Kluft zwischen Regierenden und Regierten, Obrigkeit und Untertan, Macht der wenigen und Ohnmacht der vielen ist in der Bundesrepublik, die sich als Demokratie bezeichnet, heute nicht geringer als etwa im Deutschen Kaiserreich, das sich offen als Obrigkeitsstaat verstand."

Man muss dieser Einschätzung sicherlich nicht 100% folgen, welche Haffner vor fast einem halben Jahrhundert  zu Papier brachte, aber der Vertrauensverlust bei den Wählern, ob begründet oder nicht, gegenüber den politischen Institutionen ist heute eher größer als damals. Unabhängig davon, welche innenpolitischen Folgen sich daraus in naher Zukunft ergeben werden, außenpolitisch ist unser politisches Modell als Exportschlager- in eine völlig anders geartete Staatenwelt- nicht mehr tragbar.

Konfuzius als Gegenmodell zum Parlamentarismus westlicher Prägung

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eines meiner letzten Gespräche mit Peter Scholl-Latour. Wir unterhielten uns -wie häufig- kurz vor seinem Tod in seiner Berliner Wohnung über den Lauf der Welt, den Aufstieg Chinas und die Schwäche des Westens. Scholl-Latour erwähnte, dass in China der Konfuzianismus gerade als Gegenmodell zum Parlamentarismus westlicher Prägung entwickelt wird. Die Streitkultur, welche der Demokratie innewohnt, ist den Thesen Meister Kongs, wie Konfuzius in China genannt wird, völlig fremd.

Auf meine Frage, welches Modell denn langfristig erfolgreicher sein wird, antwortete er mir “Diese Antwort wird uns die Geschichte geben“. Nach einem Augenblick fügte er hinzu “Es gibt kein Ende der Geschichte, wie es Fukuyama einst propagierte. Aber, es spricht doch einiges dafür, dass die Demokratie westlicher Prägung den Höhepunkt ihrer globalen Ausstrahlungskraft schon überschritten hat!“ Aber -wie schon erwähnt- ich gehe trotzdem wählen.

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